Asaad al Farra und seine Leidenschaft, das Backen
Aktualisiert: 21. Apr.
Vertrauen, Zutrauen und Bestärkung sind die wirkungsvollen Zutaten eines Erfolgsrezeptes, bei dem einfach alle nur glücklich sind.

Mit „mach doch mal langsam“ braucht man Asaad erst gar nicht zu kommen. Der junge Mann hat einfach eine höhere Schlagzahl als andere. Gewiss gibt es nicht sehr viele Menschen, die schon so früh derart klare Vorstellungen von ihrer Zukunft haben und ihre Lebensträume explizit formulieren können. In Asaads Fall lauten diese Träume Selbstständig sein, Meisterbrief machen, Familie gründen, erfolgreich sein. Und: Den Vater wiedersehen … Asaad al Farra ist so ein Mensch. Gerade 21 Jahre jung hat er mit der Umsetzung seiner Ziele und Träume längst begonnen.

Und wie! Vor sieben Jahren ist er mit Mutter und Bruder aus Aleppo, Syrien nach Deutschland gekommen. Die junge Mutter Souzankikka möchte ‒ wie alle Mütter dieser Welt ‒ nur das Beste für ihre Jungs. Gesundheit, ein gutes Leben in Sicherheit, Frieden und Freiheit. Sie musste raus aus der vom Bürgerkrieg zerbombten Stadt und schnappte sich also ihre beiden halbwüchsigen Söhne Asaad und Khaled, um mit ihnen die waghalsige Flucht nach Europa anzutreten. Zwischen der Gesellenprüfung zum Bäckerlehrling 2022 mit Abschluss als Prüfungsbester und der Anlandung Asaads in Flüchtlingscamps und Auffanglagern der Bundesrepublik Deutschland, liegen ziemlich genau 7 Jahre. Er spricht hervorragend deutsch inzwischen und hat seine Ausbildung in der Bäckerei Roth in Brechen mit Bravour absolviert. „Der junge Mann war und ist äußerst motiviert“, sagt Britta Schaaf-Roth und „er bringt extrem viel Talent mit für diesen Beruf“. Dass er nichts lieber sein möchte als Bäcker, das wusste Asaad schon sehr schnell. Und in der Bäckerei von Mario Roth bekam er eine Chance dazu. Die Anfänge seien nicht einfach gewesen, berichten die beiden Bäckerei-Chefs. Vor allem
die Sprachbarriere galt es zu knacken. Mit seiner freundlichen und ansteckenden Art sei Asaad jedoch schnell ein beliebter Kollege geworden und mit intensiven Sprachkursen und Förderunterricht wurde sein Deutsch kontinuierlich und schnell besser. „Asaads Hartnäckigkeit und sein Fleiß haben sich schon da gezeigt und ausgezahlt“, sagt Mario Roth.
Alle Fotos: Backstube und Verkaufsraum der Bäckerei Roth in Brechen.
Das ganze Team der Bäckerei hat mitgeholfen und Asaad für seine Wettbewerbe und seine Gesellenprüfung den Rücken frei gehalten.
Der Glaube ‒ auch und gerade der Glaube an sich selbst ‒ versetzt ja bekanntlich Berge. Bei Asaad trifft das zu 100 % ins Schwarze. Er ist von einem unbändigen Tatendrang getrieben, liebt seine Aufgabe als Bäcker und möchte in diesem Beruf erfolgreich sein. In seiner Freizeit experimentiert er daher gerne, probiert regelmäßig neues aus. „Auch Dinge, die eigentlich nicht zusammenpassen“, sagt er schelmisch im Interview.
Ende 2021, zwei Wochen vor Weihnachten, kam er folgerichtig mit einer eigenen Stollenkreation in die Backstube. „Die war so gut“, sagen Mario Roth und Britta Schaaf-Roth, „dass wir sie auch tatsächlich noch so kurzfristig ins Sortiment genommen haben“. Richtig viel Schokolade ist die wichtigste Zutat dieser Produktionnovation, soviel dürfen wir hier verraten. Den Kunden habe es wahnsinnig gut gefallen, der Stollen verkaufte sich bestens.
Pistazien, Rosenwasser, Chili und viel Schokolade.
Das ergibt Asaads syrischdeutsche Stolleninnovation
„Rosenscharf “.
Sein Faible und sein Händchen für Stollenkreationen haben ihm noch im gleichen Jahr einen weiteren, riesigen Erfolg beschert. Zwischen all der Lernerei für die Gesellenprüfung meldete der Jung-Bäcker sich zusätzlich beim Azubi-Wettbewerb eines Zutatenlieferanten an. Mit einer weiteren Stolleninnovation wollte er eines der traditionellsten Weihnachtsgebäcke Deutschlands mit dem Geschmack und dem Duft seiner syrischen Heimat verbinden ‒ Pistazien, Rosenwasser und Chili. Im August, bei 35 Grad Außentemperatur, wurden dafür in der Rothschen Backstube viele Stollen gebacken, dekoriert, probiert. Asaad ist ehrgeizig und er hängt sich rein in seine Leidenschaft, das Backen. 4 von über 50 Wettbewerbsteilnehmer:innen wurden zum Finale geladen. Im westfälischen Herford zeigten die Finalisten ihre Backkunst und glänzten auch wie Profis bei den Interviews und Pressegesprächen. Im Rahmen der dortigen „Südback“ wurde Asaad in diesem Sommer zum Backstar 2022 gekürt. Es ist ein privatwirtschaftlich organisierter Wettbewerb des Rothschen Zutatenlieferanten Vandenmoortele. Zwei Wochen danach stand die Landesmeisterschaft der Prüfungsbesten im Bäckerhandwerk in Darmstadt an. Die Ereignisse überschlugen sich regelrecht für Asaad, seine Kollegen und seinen Arbeitgeber. Themenvorschläge mussten gemacht, Zutatenlisten zusammengestellt, Schaustücke fabriziert und Mappen und Unterlagen eingeschickt werden. „In unserer Bäckerei hat in dieser Zeit das Licht sehr lange gebrannt“ sagt Mario Roth. Mit seinem Kollegen, Kevin Heimann, hat Asaad stundenlang geübt, gebacken und getüftelt und sich damit schließlich die Landesmeisterschaft gesichert. . „Ich habe gezittert vor Aufregung“ erinnert sich Asaad al Farra.

Die Siegerehrung stand in Stuttgart an und natürlich ist Chefin Britta Schaaf-Roth höchstpersönlich dorthin gereist. „Das wollte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen“, sagt sie. Sie habe richtig Bauchgrummeln gehabt vor lauter Nervosität. Zusammen mit Kollegen habe sie am Messestand gestanden und auf den Juryspruch gewartet. Dann die Entscheidung. Asaad al Farra wird Backstar 2022 mit seinem Stollen „Rosenscharf“. Was dann folgte war blos noch Jubel, Freude, Sprachlosigkeit und Stolz.
Die Begeisterung für seinen Beruf, das Leuchten in den Augen und die Freude am Tun sind es, die jeden bezaubern, der die große Freude hat, diesen jungen Mann zu erleben. Aus eigenem Antrieb und mit eigener Kraft etwas schaffen und die realistische Aussicht auf gerechten Lohn für diesen Fleiß, daraus entstehen kleine Wunder. Auch und gerade im Handwerk.
Mit dem Landessieg qualifizierte sich Asaad auch für die Deutsche Meisterschaft der Bäckerjugend. Nur 4 Wochen blieben ihm zwischen den beiden Wettbewerben. Noch einmal legten sich Asaad und seine Unterstützer richtig ins Zeug. Bis spät in die Nacht wurde geplant, gerührt, gebacken, verworfen und das anspruchsvolle Programm dieser Leistungsschau abgearbeitet. Stefanie Kram, frühere Mitarbeiterin der Bäckerei und heute selbst erfolgreiche Konditormeisterin hat mit Asaad „Torte zubereiten“ geübt. Sein früherer Berufsschullehrer, Michael Streng, hat Ferien und freie Tage ins praktische Training mit Asaad gesteckt und stets mit Rat und Tat zur Seite gestanden. „Die psychologische Betreuung habe ich übernommen, zusammen mit der Beratung für Auftritt vor Presse und Jury“, so Britta Schaaf- Roth.
Erneut steckte der Ehrgeiz und die Leidenschaft Asaads andere an. Plötzlich habe es eine richtige Crew aus Menschen gegeben, die vom Engagement des jungen Bäckers beeindruckt waren und ihn aktiv unterstützt haben. Und natürlich hatte das gesamte Mitarbeiterteam der Landbäckerei Roth aus Brechen-Oberbrechen großen Anteil an dieser einzigartigen Erfolgstour, sagen Chef und Chefin. „Es gab immer ein freundliches Wort von der Mannschaft, jederzeit einen wohlmeinenden Ratschlag, viel Daumendrücken und gute Wünsche und vor allem stets ein freier Rücken, ohne den die vielen Termine gar nicht hätten bewältigt werden können. Für den 1. Platz bei der Deutschen Meisterschaft in Weinheim hat es leider nicht gereicht. Aber darauf kommt es den Beteiligten nach diesem fantastischen Jahr auch wirklich nicht mehr an.
Den größten Anteil an dieser atemberaubenden Erfolgsgeschichte hat vielleicht Bäckereiinhaber Mario Roth selbst. Dabei spielen Vertrauen und Bestärkung eine wichtige Rolle. Er ist ein Chef, der absolutes Zutrauen in sein Hausgewächs hatte und hat und der dem jungen syrischen Mitarbeiter jederzeit seine Backstube anvertraut, die hauseigenen Zutaten zur Verfügung stellt und ihn für alle Termine freistellt. „Das hätte ich sicher nicht für jeden gemacht“, sagt er im Brustton der Überzeugung.
Asaad ist dankbar und glücklich für die große Zuneigung, Hilfe und Unterstützung, die ihm in seiner neuen Heimat geschenkt wurde. Außer den Menschen rund um die Bäckerei verdanke er auch und vor allem seinen Integrationshelfenden Norbert und Ute Theis aus Selters im Taunus sehr sehr viel. Besonders am Anfang haben die beiden ihm geholfen sich zurechtzufinden. „Sie haben mich ganz einfach in ihren Alltag integriert“, schildert Asaad. „Norbert und Ute Theis haben oft etwas mit mir unternommen und bis zu 8 Stunden täglich mit mir für den Hauptschulabschluss gelernt“.
Frage 13 des Fragebogens im Projekt (www.mehr-integration-geht-nicht.de) lautet: „Was bedeutet für Sie Integration“? Asaad antwortet darauf so: „Ich glaube der Schlüssel für Integration ist die Sprache lernen, die Bereitschaft sich anzupassen, Gleichberechtigung und die Aussicht auf Arbeit“. Auf die Frage „Wenn Sie Bundeskanzler wären, was würden Sie tun um Integration zu verbessern oder zu ermöglichen?“ sagt er kurz: „Für Frieden in der Welt kämpfen“.
Text: Katja Peteratzinger
Bilder: Katja Peteratzinger und Bäckerei Roth
Der Originalbeitrag findet sich neben weiteren, interessanten Porträts auf: www.mehr-integration-geht-nicht.de